Ich muss nicht auf das Foto schauen, um die beiden Rasierpinsel zu sehen. Papa hatte sie unter dem Badezimmerspiegel stehen. Der neue, schöne Pinsel hing kopfüber in einer kleinen Halterung. So konnte er trocknen, ohne dass sich die Feuchtigkeit unten an den Haaren sammelte. Dachshaar, selbstverständlich. Ein voller und buschiger Pinsel, da fiel es leicht, sich das Vergnügen vorzustellen, das macht, sich damit den Schaum im Gesicht zu verteilen. Kein Schaum, der mit einem recht vulgären Geräusch aus der Dose kommt, sondern Schaum, der in einer kleinen Porzellantasse angerührt wird, indem man etwas von der Seife mit heißen, fast kochenden Wasser verrührt.
Das Bild habe ich wegen des Kontrastes aufgenommen. Papa nutzte den flauschigen Rasierpinsel, den ihm meine Mutter vor zwei oder drei Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte nicht, sondern nutzte einen Pinsel, den er sich vor ein paar Dekaden selbst gekauft hatte. Das Ding einen Pinsel zu nennen, ist ein Euphemismus, den es besteht lediglich aus ein bisschen Holz und ein paar einzelnen Härchen, die aussehen, als stammten sie von einer räudigen Katze, die auf der Landstraße überfahren worden sei.
Ich habe das Foto aufgenommen, weil es ein Symbol ist. Meinen Vater hat weder Luxus interessiert, noch hat er viel auf Äußerlichkeiten gegeben. Sein Verhältnis zu den Menschen und den Dingen war ein anderes. Es fiel ihm schwer, sich auf Neues einzulassen, und er war jemand, der Gewohnheiten pflegte. Er mochte alte Dinge, und wenn er sie nicht mochte, so hatte er sich zumindest an sie gewöhnt.
Als er krank wurde, konnte er sich nicht mehr rasieren – weder mit dem neuen, noch mit dem elenden Pinsel. Er musste einen Elektrorasierer benutzen. Um genau zu sein, war ich es, der ihn damit rasierte – meinem Vater fehlte die Kraft dazu. Eine schwere, tödliche Krankheit.
In ein paar Jahren, wenn ich das Foto schon längst vergessen habe und es mir durch Zufall wieder in die Hände fällt, werde ich mich an jenen Morgen im Jahr 1972 erinnern, während der ersten Woche, in der ich zum Kindergarten ging. Ich musste früher aufstehen, als ich es gewohnt war, und so traf ich auf meinen Vater im Badezimmer. Er rasierte sich gerade. Ich sah sein Gesicht im Spiegel. Nein, ich sah die Hälfte seines Gesichts, die andere Hälfte war mit Seife bedeckt. Wie merkwürdig doch die Erwachsenen sind! Nein, daran, welchen Pinsel er an diesem Morgen er benutzte, kann ich mich nicht mehr erinnern.
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